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20.01.2007

Rede des Vorsitzenden Christian Gärtner beim Neujahrsempfang des Diözesanrates

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir freuen uns, dass Sie wieder so zahlreich zu unserem Neujahrsempfang erschienen sind.
Der diesjährige Neujahrsempfang des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Eichstätt ist in gewisser Weise eine doppelte Premiere. Zum ersten Mal habe ich als neu gewählter Vorsitzender des Diözesanrates die ehrenvolle Aufgabe, Sie alle hier in diesen wunderschönen Räumen zu begrüßen. Und zum ersten Mal nimmt Gregor Maria Hanke in seinem neuen Amt als Bischof von Eichstätt an diesem Neujahrsempfang teil. Er wird bei dieser Gelegenheit natürlich auch das Wort an Sie richten. Sie sind sicher sehr gespannt, was uns unser neuer Bischof zum Beginn dieses neuen Jahres sagen will – ich auch. Deshalb möchte ich Ihnen bei dieser Gelegenheit nur ein paar kurze Gedanken zum neuen Jahr mit auf den Weg geben. Manche davon passen ganz gut zu dem Stichwort, das wohl den meisten von uns angesichts der ungewohnt frühlingshaften Temperaturen während dieses Winters einfällt: „Klimawandel“.

Die ungewöhnlich warme Witterung der letzten Wochen allein macht noch nicht den bevorstehenden Klimawandel aus. Die sich häufenden Temperaturrekorde des letzten Jahrzehnts in unseren Breiten sind aber sicherlich ein Indiz dafür, dass wir in einer Zeit eines sich ändernden Klimas, verbunden mit einer Erwärmung der Erdatmosphäre, leben. Wir Menschen haben mit unserem rücksichtslosen Raubbau an der Natur und unserem ungezügelten Energiehunger während der letzen zwei Jahrhunderte des industriellen Zeitalters zumindest mit zu diesem Klimawandel beigetragen, das steht für mich außer Frage. Damit sind wir Menschen aber auch gefordert, alles zu tun, wenn wir diesen Klimawandel schon nicht mehr aufhalten können, ihn wenigstens wenn möglich abzumildern. Auf keinen Fall aber dürfen wir den Klimawandel durch unser Verhalten noch mehr anheizen.

Vor etwas mehr als einer Woche (am 11.1.2007) haben die Katholischen Bistümer und die Evangelische Landeskirche in Bayern mit der Bayerischen Staatsregierung auf dem 2. Bayerischen Klimagipfel eine gemeinsame Grundsatzerklärung mit dem Ziel des Klimaschutzes unterzeichnet und sind damit Bündnispartner der „Bayerischen Klimaallianz“ geworden. Die beiden großen christlichen Kirchen unseres Landes können in dieses Klimabündnis mit dem Staat vor allem die geistliche Basis für einen überzeugten und nachhaltigen Einsatz für einen besseren Klimaschutz mit einbringen.

Die Kirchen leisten schon jetzt auf diesem Gebiet mit ihrem vielfältigen Engagement zur Bewahrung der Schöpfung und zur Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen in vielen konkreten Projekten einen großen Beitrag zum Klimaschutz. Ich erinnere nur daran, dass unsere Diözese sich schon vor über vier Jahren als Modelleinrichtung an dem bundesweiten ökumenischen Projekt "Kirchliches Umweltmanagement" beteiligt und in diesem Zusammenhang für eine ganze Reihe kirchlicher Häuser und Einrichtungen Umweltmanagementsysteme realisiert hat.

Für uns Christen sollte es selbstverständlich sein, das wir uns in unserem persönlichen Lebenswandel immer mehr von den Notwendigkeiten eines sparsamen und nachhaltigen Umgangs mit den Gaben der Schöpfung leiten lassen. Als „Menschen, deren Hoffnung tiefer gegründet ist, als die Verheißungen des Konsums“ sollten wir es auch leichter haben „mit einem Lebensstil, nach dem Grundsatz: Gut leben statt viel haben“, so Landesbischof Friedrich beim 2. Bayerischen Klimagipfel.

In diesem Zusammenhang müssen wir ein Ereignis zu Jahresbeginn als „Schuß vor den Bug“ begreifen, der uns alle wachrütteln sollte, wieder mehr zu tun, um unserer Verantwortung für die Schöpfung gerecht zu werden. Ich meine die mehrtägige Unterbrechung der Öllieferungen aus Rußland. Wer oder was auch immer dafür verantwortlich war, dieser Lieferstopp hat uns unsere gefährliche Abhängigkeit von klimaschädlichen fossilen Energieträgern und deren Lieferanten drastisch vor Augen geführt.


Vielleicht hilft uns ein anderer Klimawandel dabei, dass wir uns im kommenden Jahr wieder etwas mehr den skizzierten ökologischen Herausforderungen widmen können. Ich spreche von dem Klima, das mit einem Konsumklimaindex oder einem Geschäftsklimaindex gemessen wird, und für das sich 2007 ein Wandel zum Positiven abzeichnet.

Mit über 4 Millionen betroffenen Menschen ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland allerdings immer noch erschreckend hoch. Als Christen müssen wir dafür Sorge tragen, dass der Aufschwung nicht an manchen Menschen vorbeigeht, sondern dass alle von der sich abzeichnenden positiven wirtschaftlichen Entwicklung profitieren. Wir dürfen gerade auf Wachstumskurs niemand abhängen oder zurücklassen.

Dazu gehören beispielsweise auch Programme zur Einrichtung eines öffentlich geförderten Arbeitsmarktes für Langzeitarbeitslose. Solche Programme für Menschen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance haben, tragen dazu bei, Menschen wieder sinnvoll in die Gesellschaft zu integrieren. Die Richtigkeit eines solchen Vorgehens belegen auch die Erfahrungen der „Christlichen Arbeiterhilfe" mit Ihren Werkstätten in unserer Diözese, die insbesondere am ersten Arbeitsmarkt benachteiligte Menschen unterstützten, immer auch mit dem Ziel, diese Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.


Einen ganz anderen Klimawandel müssen wir nicht bekämpfen, den brauchen wir. Ich meine einen Wandel des Klimas für Familien mit Kindern in unserem Land.

Die Bevölkerung in Deutschland ist auf dem besten Wege zu vergreisen, weil in unserem Land zu wenige Kinder geboren werden. Viele junge Paare entscheiden sich angesichts der Unsicherheit, die mit Arbeitslosigkeit oder nur befristeten Arbeitsverhältnissen verbunden ist, immer später oder gar nicht mehr dafür, Kinder zu bekommen. Hier kollidieren auch die Anforderungen der Wirtschaft an die Flexibilität der Arbeitnehmer mit der Stabilität und Verläßlichkeit gerade der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die für ein junges Paar notwendig sind, um sich für Kinder zu entscheiden.

Die Einführung des Elterngeldes ist in diesem Zusammenhang sicher ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Es gibt aber unter dem Gesichtspunkt der „Familiengerechtigkeit“ nach wie vor dringenden Reformbedarf im Bereich der Sozialpolitik. So zeigt ein Gutachten ("Familiengerechte Reform der gesetzlichen Rentenversicherung"), das im letzten Jahr im Auftrag der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz erstellt worden ist, dass Familien beispielsweise in der gesetzlichen Rentenversicherung immer noch strukturell benachteiligt sind.

Auch eine Ausweitung - nicht die Abschaffung - des vorhandenen Ehegattensplittings zu einem echten Familiensplitting halte ich in diesem Zusammenhang durchaus für diskussionswürdig. Dabei kommt es natürlich entscheidend auf die Details an, damit davon auch die Familien profitieren, die zunächst nicht entlastet werden, weil sie mangels ausreichend hoher Einkünfte keine oder nur sehr wenig Steuern zahlen.

Das alles ist sicher nicht kostenneutral zu haben, aber unsere alternde Gesellschaft muss sich entscheiden, was Ihr die Förderung der Familie Wert ist, und worauf sie stattdessen zu verzichten bereit ist. Es kann nicht sein, dass Familien ihre Förderung durch Kürzungen an anderer Stelle selbst bezahlen sollen, wie das in der politischen Diskussion mit der Verknüpfung der Finanzierung von Kinderbetreuungsplätzen mit einer entsprechenden Kürzung beim Kindergeld vorgeschlagen wurde. Übrigens ist auch ein langjähriger Verzicht auf eine Erhöhung des Kindergeldes eine faktische Kürzung, wenn man die Entwicklung der Lebenshaltungskosten berücksichtigt.

Angesichts der Herausforderung, unsere Gesellschaft und unsere Sozialsysteme langfristig wieder auf eine stabile demographische Basis zu stellen, sind gerade die Familien-, wie auch die Bildungspolitik, denkbar ungeeignete Felder für die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.


Ein weiteres Klima, das sich wandeln muss, wohl auch schon etwas gewandelt hat, betrifft das Zusammenleben und die Integration speziell der muslimischen Zuwanderer in unserem Land. Jenes Klima, in dem man in diesen Menschen nur „Gastarbeiter“ gesehen hat, die hier für eine gewisse Zeit einer Arbeit nachgehen, die aber irgendwann auch wieder gehen, hat zu einer eine jahre-, wenn nicht jahrzehntelang versäumten Integration des Islam in unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft geführt. Dieses Versäumnis müssen wir jetzt umso mühsamer aufarbeiten.

Deshalb begrüßen wir die Initiative der Bundesregierung, im vergangenen Jahr mit einer Islamkonferenz einen Dialog mit den hier lebenden Muslimen auf höchster Ebene zu beginnen. Auch bei den Katholikentagen und den Evangelischen Kirchentagen gibt es ja eine inzwischen schon jahrzehntelange gute Tradition des Dialogs mit den Muslimen.

Der Erfolg dieser Integration entscheidet sich aber nicht auf Katholikentagen oder in Konferenzen auf Bundesebene, so wichtig solche Initiativen auch sind, sondern im konkreten Miteinander vor Ort. Hier sind die engagierten Christen in den Pfarrgemeinden unseres Bistums Eichstätt gefordert, überall dort, wo sich diese Aufgabe stellt, auch auf unsere muslimischen Mitbürger zuzugehen, mit dem Ziel eines echten Dialogs, der vor allem die strittigen Punkte nicht ausklammert oder vorschnell harmonisiert.

Ich bin mir dabei durchaus bewusst, dass wir bei diesem Dialog noch weit entfernt sind von dem Stand eines Miteinanders, das wir mit den anderen christlichen Kirchen und den Juden schon erreicht haben, mit denen ökumenische Gottesdienste und das gemeinsame Gebet möglich sind.

Wir begrüßen in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich das in der letzten Woche ergangene Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes zum Kopftuch-Verbot für muslimische Lehrerinnen an bayerischen Schulen.

Das Kopftuch muslimischer Frauen ist nicht nur irgendein Kleidungsstück, sondern auch ein Symbol für die Unterdrückung und fehlende Gleichberechtigung von Frauen im Namen des Islam. Mit einer solchen symbolischen Aussagekraft ist im Gegensatz dazu eine christliche Ordenstracht eben gerade nicht belastet. Das hat der bayerische Gesetzgeber richtig erkannt und der Bayerische Verfassungsgerichtshof in der vergangenen Woche bestätigt. Allerdings müssen wir dabei auch aufpassen, unsere Energie nicht nur in einem Streit um Symbole zu verschwenden.

Für die Integration unserer muslimischen Mitbürger in unsere von den Werten der aufgeklärten christlich-abendländischen Tradition geprägte Gesellschaft stellen sich gerade den Schulen im Alltag viele andere und wichtigere Aufgaben als der Streit ums Kopftuch. Ich nenne nur als Stichworte:
- die volle Integration muslimischer Schülerinnen in das gesamte schulische Leben,
- die Förderung der deutschen Sprachkompetenz bei den Schülerinnen und Schülern, bei denen zu Hause nicht deutsch gesprochen wird, möglichst schon am Anfang oder auch schon vor Beginn der Schulzeit, und
- sowie als wichtigste, noch immer ungelöste Herausforderung, ein islamischer Religionsunterricht in deutscher Sprache, der sich nicht nur an einzelne, nach dem Gesichtspunkt der nationalen Herkunft definierte Gruppen unter den Muslimen in Deutschland wendet, und der den Schülerinnen und Schülern den Islam auf der Basis unserer freiheitlich-demokratischen Grundwerte vermittelt.

Wir dürfen uns jetzt auch nicht einfach auf der vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof bestätigten Interpretation der gesetzlichen Regelung in Bayern ausruhen. Der Verweis auf die unser Land prägende „christlich-abendländische Kultur“ kann sich auch schnell als bloße Leerformel erweisen.

Wir leben inzwischen in einer Gesellschaft, in der viele Menschen das Christentum und die christlichen Kirchen als eine Religion wie jede andere auch betrachten. Für sehr viele, wenn nicht schon die meisten Menschen in unserem Land ist die Argumentation, wenn man schon das Tragen religiöser Symbole durch Lehrer im Unterricht verbietet, dann aber auch für alle Religionen gleichermaßen, schon viel nachvollziehbarer geworden, als das jetzt gefällte Urteil.

Hier sind wir alle ganz persönlich gefordert, durch unser Zeugnis den Begriff „christlich-abendländische Kultur“ immer wieder neu mit Leben zu füllen. Wir müssen - im Sinne eines Wortes der deutschen Bischöfe - in unserer Gesellschaft, für die das Christentum immer weniger selbstverständlich wird, „missionarisch Kirche sein“.


Für mich zeigt die andauernde Auseinandersetzung um das Thema „Kopftuch und Integration“ aber auch, dass ein auf freiheitlich-demokratischer Grundlage konstituiertes Gemeinwesen, wie unser Staat, nicht einfach - wie es immer wieder so schön heißt - „weltanschaulich neutral“ sein kann, sozusagen „blind“ gegenüber dem, was seine Bürgerinnen und Bürger glauben, wofür Sie sich aus einer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung heraus in Ihrem Reden und Handeln, und auch in Ihrem bürgerschaftlichen Engagement einsetzen.

Der Staat darf seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht eine bestimmte religiöse oder weltanschauliche Überzeugung verordnen. Er muss aber differenzieren, was im konkreten Einzelfall durchaus auch zu einer unterschiedlichen Behandlung unterschiedlicher religiöser oder weltanschaulicher Positionen in der Gesetzgebung und im staatlichen Handeln führen kann, gegebenenfalls sogar zum aktiven „Bekämpfen“ solcher Positionen durch den Staat, die die freiheitlichen Grundlagen des Gemeinwesens selbst in Frage stellen, wie das zum Beispiel beim Rechtsextremismus der Fall ist.

Unsere freiheitlich-demokratischen Grundwerte sind auf dem Wurzelboden des christlichen Glaubens gewachsen, auch wenn sie oft im Laufe der Geschichte zunächst gegen die Kirche durchgesetzt werden mussten. Diese fundamentalen Werte, auf denen unser Gemeinwesen basiert, sind aber nicht unveränderliche Gegebenheiten. Sie müssen ständig neu mit Leben gefüllt, ja am Leben erhalten werden, durch das politische und gesellschaftliche Engagement von Menschen, die sich aus einer inneren Überzeugung heraus für das Gemeinwesen einsetzen, ohne gleich zu fragen, „was bringt es mir?“. Wenn wir uns als Christen mit unserem Engagement in den rein binnenkirchlichen Raum zurückziehen, läßt sich die christlich-abendländische Kultur in unserer Gesellschaft sicher nicht bewahren. Darin steckt für uns Christen aber auch die Herausforderung, dass wir in manchen Fragen Kompromisse schließen müssen, die der „reinen“ kirchlichen Lehre nicht immer in vollem Umfang entsprechen können.


Schließlich zeigen die Ereignisse der letzten Wochen in Bayern, in deren Mittelpunkt mit Horst Seehofer auch ein Mitglied unseres Diözesanrates stand, dass wir an der politischen Spitze unseres Landes dringend einen Wandel im Klima des menschlichen Umgangs miteinander brauchen. Und dieser Klimawandel muss in Politik und Medien gleichermaßen stattfinden.

In einer Demokratie, sind politische Ämter im Staat - aber auch in den Parteien - nur auf Zeit durch Wahl verliehene Aufgaben, und wer ein solches Amt ausfüllt, sollte das im Geiste des Dienens tun, denn es geht dabei immer um einen Dienst an der Gemeinschaft, am Gemeinwohl, nicht um einen Beruf zum Broterwerb.

Ein solches „Ethos des Dienens“ sollte gerade uns Christen auszeichnen, vor allem wenn wir uns im politischen Raum engagieren.

Weil wir als Christen mit dafür Sorge tragen müssen, dass die Werte der aufgeklärten christlich-abendländischen Kultur in unserem freiheitlich demokratischem Gemeinwesen auch im politischen Alltag lebendig bleiben, sind wir aufgefordert, uns keinesfalls weniger, sondern eher noch mehr und deutlicher mit unseren Positionen in gesellschaftliche und politische Diskussionen einzubringen. Das wollen wir auch als Diözesanrat der Katholiken im Bistum Eichstätt in diesem neuen Jahr immer wieder tun.

Ansprache des Diözesanratsvorsitzenden Christian Gärtner beim Neujahrsempfang des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Eichstätt am 20.1.2007